Pythagoreische Zahlentripel (SUNI, August 2020)

2 Pythagoreische Zahlentripel

2.1 Der Satz des Pythagoras

Wir beginnen mit einer kurzen Wiederholung des Satzes des Pythagoras. Sei $\Delta $ ein rechtwinkliges Dreieck. Wie üblich nennen wir die beiden Seiten von $\Delta $, die an dem rechten Winkel anliegen, die Katheten, und die Seite, die dem rechten Winkel gegenüberliegt, die Hypotenuse des Dreiecks.

Satz 2.1 Pythagoras

Sei $\Delta $ ein rechtwinkliges Dreieck. Seien $a$ und $b$ die Längen der beiden Katheten, und sei $c$ die Länge der Hypotenuse von $\Delta $. Dann gilt

\[ a^2 + b^2 = c^2. \]

Bemerkung 2.2

Auch wenn der Satz traditionell Pythagoras (ca. 550 v. Chr.) zugeschrieben wird, war er mit ziemlicher Sicherheit schon vorher bekannt.

Beweis

Es gibt viele Beweise für den Satz des Pythagoras. Der folgende ist vielleicht einer der einfachsten. Wir betrachten die folgende Figur, in der das rechtwinklige Dreieck mit Kathetenlängen $a$ und $b$ viermal vorkommt.

\begin{tikzpicture} [scale=0.7]
        \draw (0,0) -- (10,0) -- (10,10) -- (0,10) -- (0,0);
        \draw (3,0) -- (10,3) -- (7,10) -- (0,7) -- (3,0);
        \node at (-.3, 3) {$b$};
        \node at (1.5, -.3) {$a$};
        \node at (6.5, -.3) {$b$};
        \node at (2.1, 3) {$c$};
        \node at (10.3, 1.5) {$a$};
        \node at (10.3, 6.5) {$b$};
        \node at (3.5, 10.3) {$b$};
        \node at (8.5, 10.3) {$a$};
        \node at (-.3, 8.5) {$a$};
        \node at (7, 2.1) {$c$};
        \node at (7.9, 7) {$c$};
        \node at (3, 7.9) {$c$};
    \end{tikzpicture}

Wir können die Fläche des großen Quadrats auf zweierlei Arten berechnen: Die Seitenlänge des Quadrats ist $a+b$, also ist die Fläche

\[ (a+b)^2 = a^2 + 2ab + b^2. \]

Andererseits ist die Fläche die Summe der Teilflächen: viermal die Fläche des Dreiecks, also zweimal die Fläche des Rechtecks mit Kantenlängen $a$ und $b$; und die Fläche des Quadrats in der Mitte, das Seitenlänge $c$ hat. Damit ergibt sich für die Fläche

\[ 2ab + c^2. \]

Wir erhalten also

\[ a^2 + 2ab + b^2 = 2ab + c^2, \]

und indem wir auf beiden Seiten $2ab$ abziehen das gewünschte Ergebnis

\[ a^2 + b^2 = c^2. \]

Eine Bemerkung zum Schluss: Prüfen Sie noch einmal genau, dass die geometrische Figur wirklich alle Eigenschaften hat, die wir im weiteren Beweis ausgenutzt haben. Ist der Bereich in der Mitte wirklich ein Quadrat, oder könnte es ein Viereck mit vier gleichlangen Seiten (eine Raute) sein, das aber kein Quadrat ist?

Umgekehrt gilt: Sind $a$,$b$ und $c$ positive Zahlen mit $a^2 + b^2 = c^2$ so gibt es ein rechtwinkliges Dreieck mit Seitenlängen $a$, $b$, $c$.

In der Tat kann man ein solches Dreieck konstruieren, indem man die beiden Katheten mit rechten Winkeln zueinander zeichnet, und dann zu einem rechtwinkligen Dreieck ergänzt, indem man die beiden freien Endpunkte verbindet. Nach dem Satz des Pythagoras ist die Länge der Hypotenuse des gezeichneten Dreiecks dann $\sqrt{a^2+b^2}$, und dies ist gerade gleich $c$.

2.2 Rechtwinklige Dreiecke mit ganzzahligen Seitenlängen

Es ist geometrisch klar, dass es zu gegebenen Zahlen $a, b > 0$ auch ein rechtwinkliges Dreieck mit diesen beiden Zahlen als Längen der Katheten gibt. Man kann ja einfach entsprechende Strecken in der Ebene einzeichnen, die sich in einem rechten Winkel treffen, und die beiden freien Eckpunkte verbinden.

Überlegen Sie sich, unter welchen Bedingungen es zu zwei Zahlen $a,c > 0$ ein rechtwinkliges Dreieck gibt, dessen eine Kathete Länge $a$, und dessen Hypotenuse Länge $c$ hat.

Wesentlich subtiler ist aber die folgende Frage: Dabei bezeichnen wir mit $\mathbb N$ die Menge der (positiven) natürlichen Zahlen,

\[ \mathbb N = \{ 1, 2, 3, \dots \} . \]

Gegeben $a\in \mathbb N$, gibt es ein rechtwinkliges Dreieck mit ganzzahligen Seitenlängen $b,c \in \mathbb N$ dazu?

Wie wir bereits gesehen habe, können wir die Frage so umformulieren: Gegeben eine natürliche Zahl $a$, wann gibt es natürliche Zahlen $b$ und $c$, so dass $a^2+b^2=c^2$ gilt? Sicherlich ist das manchmal so: Zum Beispiel gilt $3^2 + 4^2 = 5^2$.

Analog kann man die Frage stellen, welche natürlichen Zahlen $c$ als Länge der Hypotenuse in einem rechtwinkligen Dreieck mit ganzzahligen Seitenlängen auftreten können. Im folgenden werden wir diese Fragen genauer analysieren. Dazu führen wir als erstes die folgende Sprechweise ein:

Definition 2.3

Wir nennen drei natürliche Zahlen $(a,b,c)$ ein pythagoreisches Zahlentripel (PZT) 1 , wenn $a^2 + b^2 = c^2$ gilt.

Aufgabe 2.1

Finden Sie ein PZT, in dem alle drei Zahlen größer als 1000 sind. (Das ist nicht so schwierig, aber Sie werden von der Antwort unten vielleicht enttäuscht sein …)

2.3 Primitive Pythagoreische Zahlentripel

Wenn wir die drei Zahlen eines PZT alle mit derselben Zahl multiplizieren, so erhalten wir ein neues PZT. Zum Beispiel können wir aus $(3, 4, 5)$ durch Multiplikation mit $2$ das PZT $(6, 8, 10)$ machen, durch Multiplikation mit $3$ das PZT $(9, 12, 15)$, und so weiter. Durch Multiplikation mit $1000$ erhalten wir $(3000, 4000, 5000)$ und damit eine einfache Lösung für Aufgabe 2.1. Wenn Ihnen das ein bisschen zu banal vorkommt, dann haben Sie völlig recht. Diese PZT, die durch Multiplikation aus einem anderen PZT entstehen, sind nicht so interessant, um die Struktur des Problems zu verstehen.

Andersherum kann man manchmal alle drei Zahlen durch dieselbe Zahl dividieren. Auch dann erhält man ein neues PZT. Beispielsweise bekommt man aus $(25, 60, 65)$ das PZT $(5, 12, 13)$, indem man alle Einträge durch $5$ teilt.

Um einen Begriff zu haben, der nur die “interessanten” PZT umfasst, definieren wir:

Definition 2.4

Ein PZT $(a,b,c)$ heißt primitiv, wenn $a$, $b$, $c$ keinen gemeinsamen Teiler außer $1$ haben. Wir sprechen dann von einem primitiven Pythagoreischen Zahlentripel (PPZT).

Wenn zwei (oder mehr) Zahlen keinen gemeinsamen Teiler außer $1$ haben, nennt man sie teilerfremd. Zum Beispiel sind $6$ und $15$ nicht teilerfremd; aber die drei Zahlen $6$, $15$ und $25$ sind teilerfremd.

Sei $(a,b,c)$ ein PPZT. Überlegen Sie sich, dass je zwei der drei Zahlen $a$, $b$, $c$ teilerfremd sind (d.h., $a$ und $b$ sind teilerfremd; $a$ und $c$ sind teilerfremd; $b$ und $c$ sind teilerfremd).

Eine Tatsache, die schwieriger zu zeigen ist, ist die folgende:

Aufgabe 2.2

Sei $(a,b,c)$ ein PPZT. Begründen Sie, dass eine der Zahlen $a$, $b$ gerade ist (aber nicht beide), und dass $c$ ungerade ist.

Hinweis. Betrachten Sie den Rest bei Division durch $4$. Zeigen Sie als erstes, dass eine gerade Quadratzahl immer Rest $0$ bei Division durch $4$ hat, und dass eine ungerade Quadratzahl Rest $1$ bei Division durch $4$ hat.

Mit dem Begriff des PPZT können wir die folgende Variante von Aufgabe 2.1 stellen, die interessanter, aber auch schwieriger ist:

Aufgabe 2.3

Finden Sie ein PPZT, in dem alle drei Zahlen größer als 1000 sind.

\includegraphics[width=10cm]{Plimpton-322}

Abbildung 2.1 Die Keilschrifttafel Plimpton 322 (ca. 1800 v. Chr., siehe auch die englische Wikipedia-Seite mit mehr Informationen), auf der einige pythagoreische Zahlentripel zu finden sind, zum Beispiel $(2291, 2700, 3541)$. Bildquelle: Wikipedia (Public Domain)

Mit den Ergebnissen, die wir im folgenden erarbeiten werden, ist die Lösung dieser Aufgabe ganz leicht. Aber versuchen Sie es trotzdem jetzt schon einmal!

2.4 Eine Formel für PPZT

In diesem Abschnitt werden wir eine Formel herleiten, die es uns sozusagen erlaubt, eine Liste aller PPZT herzustellen. Insbesondere werden wir damit direkt die folgenden Eigenschaften sehen können:

  1. Es gibt unendlich viele verschiedene PPZT. Wir können unmittelbar PPZT hinschreiben, in denen alle Einträge größer als eine gegebene Zahl sind (vgl. Aufgabe 2.3).

  2. Zu jeder natürlichen Zahl, die größer als $2$ ist, gibt es ein PZT, in dem diese als einer der drei Einträge vorkommt.

  3. Sei $d>1$ eine natürliche Zahl. Es gibt genau dann ein PPZT, in dem $d$ vorkommt, wenn entweder $d$ ungerade ist, oder wenn $d$ durch $4$ teilbar ist.

Das Ergebnis, das wir beweisen wollen, ist der folgende Satz.

Satz 2.5
  1. Seien $m, n$ teilerfremde natürliche Zahlen, von denen eine gerade ist. Es sei $n > m$. Dann ist $(2mn, n^2 - m^2, n^2 + m^2)$ ein PPZT.

  2. Sei $(a,b,c)$ ein PPZT, und sei $a$ gerade (vergleiche Aufgabe 2.2). Dann gibt es Zahlen $m$, $n$ wie in Teil (1), so dass

    \[ a = 2mn,\quad b = n^2-m^2,\quad c = n^2 + m^2. \]

Der Beweis von Teil (1) ist relativ einfach. Die Gleichheit $a^2 + b^2 = c^2$ kann man direkt nachrechnen:

\[ (2mn)^2 + (n^2 - m^2)^2 = 4m^2 n^2 + n^4 - 2n^2 m^2 + m^4 = n^4 + 2n^2m^2 m^4 = (n^2 + m^2)^2. \]

Damit kann man auch sofort Aufgabe 2.3 lösen. Mit $m = 12\, 345\, 678$, $n = 123\, 456\, 789$ erhalten wir zum Beispiel das PPZT

\[ (3\, 048\, 315\, 527\, 815\, 884, 15\, 089\, 162\, 984\, 910\, 837, 15\, 393\, 994\, 515\, 470\, 205). \]

(Macht Ihr Taschenrechner da noch mit?)

Wir müssen noch begründen, dass es sich wirklich um ein primitives PZT handelt. Dazu benutzen wir, dass jede natürliche Zahl eine eindeutige Zerlegung als Produkt von Primzahlen hat (bis auf die Reihenfolge der Faktoren). Wenn $a$, $b$ und $c$ einen gemeinsamen Teiler haben, der größer als $1$ ist, dann gibt es auch eine Primzahl $p$, die $a$, $b$ und $c$ teilt. Dann teilt $p$ auch die Zahl $b+c = 2n^2$, und es folgt (aus der eindeutigen Primzaktorzerlegung), dass $p = 2$ oder dass $p$ ein Teiler von $n$ ist. Genauso teilt $p$ auch $c -b = 2 m^2$. Ist $p\ne 2$, so ist also $p$ ein Teiler sowohl von $m$ als auch von $n$, im Widerspruch dazu, dass wir $m$ und $n$ teilerfremd gewählt haben. Die einzige Primzahl, die eventuell alle drei Zahlen $a$, $b$ und $c$ teilen könnte, ist also die $2$.

Nun ist nach Voraussetzung genau eine der beiden Zahlen $m$ und $n$ gerade. Also ist $a$ gerade (sogar durch $4$ teilbar), und $b$ und $c$ sind ungerade. Daher ist die $2$ kein gemeinsamer Teiler der Zahlen $a$, $b$ und $c$, und es handelt sich um ein PPZT.

Damit ist Teil (1) bewiesen.

Es bleibt noch der Beweis von Teil (2) zu erledigen, also zu zeigen, dass man so wirklich alle PPZT darstellen kann. Dieser Beweis wird (hoffentlich) auch erklären, wie man vielleicht auf diese Formel kommen könnte.

2.5 Der Einheitskreis

Wir werden einen geometrischen Standpunkt einnehmen, aus dem sich letztlich die gesuchte Formel für PPZT ergibt. Dabei arbeiten wir in der reellen Zahlenebene, d.h. in der Ebene, in der jeder Punkt durch seine Koordinaten $(x, y)$ bestimmt ist. Dabei sind $x$ und $y$ reelle Zahlen. Den Punkt $(0, 0)$ nennen wir den Ursprung.

Der Satz des Pythagoras zeigt, dass der Abstand zwischen dem Ursprung und dem Punkt $(x, y)$ gerade $\sqrt{x^2 + y^2}$ ist, denn die Verbindung zwischen Ursprung und $(x, y)$ ist die Hypotenuse des rechtwinkligen Dreiecks mit Ecken $(0, 0)$, $(x, 0)$ und $(x,y)$. Die Längen der Katheten sind $x$ und $y$.

\begin{tikzpicture} [scale=0.7]
        \draw (0, -1) -- (0,6);
        \draw (-1,0) -- (6,0);
        \draw[ultra thick] (5,0) arc (0:90:5) ;
        \fill (0, 0) circle (.1cm);

        \fill[blue] (4.2, 2.7) circle (.12cm) node[right, black] {$(x, y)$};
        \draw[thick] (0, 0) -- (4.2, 0) -- (4.2, 2.7) -- (0, 0);
    \end{tikzpicture}
Abbildung 2.2 Der Satz des Pythagoras, angewendet auf das hier eingezeichnete rechtwinklige Dreieck, zeigt, dass die Punkte $(x, y)$ auf dem Einheitskreis gerade diejenigen sind, für die $x^2 + y^2 = 1$ gilt.

Unter dem Einheitskreis versteht man den Kreis um den Ursprung mit Radius $1$, also die Menge aller Punkte, die Abstand $1$ zum Ursprung haben. Mit anderen Worten: Ein Punkt $(x, y)$ liegt genau dann auf dem Einheitskreis, wenn

\[ x^2 + y^2 = 1 \]

gilt.

2.6 Der Einheitskreis und PZT

Ist $(a,b,c)$ ein PZT, so gilt $a^2 + b^2 = c^2$. Teilen wir beide Seiten der Gleichung durch $c^2$, so erhalten wir

\[ \left(\frac{a\strut }{c}\right)^2 + \left(\frac{b\strut }{c}\right)^2 = 1, \]

das bedeutet, dass der Punkt $(a/c, b/c)$ auf dem Einheitskreis liegt.

Ist andererseits $(x, y)$ ein Punkt auf dem Einheitskreis mit positiven rationalen 2 Koordinaten, so erhalten wir durch Multiplikation mit einem gemeinsamen Nenner von $x$ und $y$ ein PZT.

Schreibt man $x$ und $y$ als gekürzte Brüche und multipliziert dann mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, so erhält man ein PPZT. (Man kann sich überlegen, dass $x$ und $y$ als gekürzte Brüche automatisch denselben Nenner haben, wenn der Punkt $(x, y)$ auf dem Einheitskreis liegt.) Auf diese Weise erhalten wir eine genaue entsprechung zwischen Punkten auf dem Einheitskreis mit positiven rationalen Koordinaten und PPZT.

Beispiel 2.6

Vom PPZT $(3, 4, 5)$ erhalten wir den Punkt $(\frac35, \frac45)$ auf dem Einheitskreis.

Vom Punkt $(\frac{12}{13}, \frac{5}{13})$ erhalten wir das PPZT $(12, 5, 13)$.

Wir haben damit die Fragestellung wie folgt umformuliert: Finde eine Formel für alle Punkte auf dem Einheitskreis mit positiven rationalen Koordinaten. Wenn wir diese Frage beantworten können, können wir daraus eine Formel für PPZT herleiten.

\begin{tikzpicture} [scale=0.7]
        \draw (0,0) circle (5cm);
        \draw (0, -6) -- (0,6);
        \draw (-6,0) -- (6,0);
        \draw[ultra thick, green] (0,0) -- (5,0);
        \draw[ultra thick, yellow] (5,0) arc (0:90:5) ;
        \draw[ultra thick] (0,-5) -- (6,6);

        \fill (0, 0) circle (.1cm);
        \fill[red] (2.72,0) circle (.12cm) node[above left, black] {$t$};
        \fill[blue] (4.2, 2.7) circle (.12cm) node[right, black] {$(x_0, y_0)$};
        \fill (0, -5) circle (.1cm) node[below left] {$(0, -1)$};
    \end{tikzpicture}
Abbildung 2.3 Die stereographische Projektion des Einheitskreises vom Südpol auf die $x$-Achse.

Um diese Punkte auf dem Einheitskreis zu beschreiben, benutzen wir die sogenannte stereographische Projektion. Der Name ist komplizierter als das, worum es uns gehen wird: Gemeint ist einfach, dass wir jedem Punkt auf dem Einheitskreis mit positiven rationalen Koordinaten eine rationale Zahl zwischen $0$ und $1$ zuordnen können, indem wir den gegebenen Punkt mit dem “Südpol” $(0, -1)$ verbinden und den Schnittpunkt mit der $x$-Achse betrachten. Umgekehrt können wir eine gegebene rationale Zahl zwischen $0$ und $1$ auf der $x$-Achse betrachten, den Punkt auf der $x$-Achse mit dem Südpol $(0, -1)$ verbinden und den Schnittpunkt der so entstehenden Geraden mit dem Einheitskreis betrachten. Wie wir unten ausrechnen werden, erhalten wir einen Punkt auf dem Einheitskreis mit positiven rationalen Koordinaten.

Bemerkung 2.7

Auf dieser Seite können Sie das interaktiv ausprobieren.

Vom Punkt auf dem Einheitskreis zur rationalen Zahl zwischen $0$ und $1$

Gegeben einen Punkt $(x_0, y_0)$ auf dem Einheitskreis mit positiven rationalen Zahlen $x_0$ 3 , $y_0$, stellen wir die Gleichung der Geraden durch den Südpol $(0, -1)$ und den Punkt $(x_0, y_0)$ auf:

\[ g\colon \quad y = \frac{y_0 + 1}{x_0} x - 1. \]

Siehe Abbildung 2.3. (Die Steigung $\frac{y_0 + 1}{x_0}$ lesen wir am Steigungsdreieck zwischen $(0, -1)$ und $(x_0, y_0)$ ab, der $y$-Achsenabschnitt ergibt sich direkt, da die Gerade durch den Punkt $(0, -1)$ verläuft.) Um den Schnittpunkt mit der $x$-Achse zu berechnen, setzen wir in der Geradengleichung $y = 0$ und lösen nach $x$ auf. Wir erhalten $x = \frac{x_0}{y_0+1}$ (eine Bruchzahl zwischen $0$ und $1$).

Von der rationalen Zahl zwischen $0$ und $1$ zum Punkt auf dem Einheitskreis

Interessant(er) ist jetzt, dass wir auch andersherum vorgehen können. Ist nämlich $t$ eine rationale Zahl zwischen $0$ und $1$, so können wir die Gerade durch $(0, -1)$ und $(t, 0)$ betrachten. Sie hat die Geradengleichung

\[ g\colon \quad y = \frac1t x - 1. \]

Wir berechnen den Schnittpunkt $(x, y)$ dieser Geraden mit dem Einheitskreis. Der Schnittpunkt erfüllt die Geradengleichung $g$, und andererseits gilt $x^2 + y^2 = 1$, da der Punkt auf dem Einheitskreis liegt. Wir erhalten also

\[ 1 = x^2 + y^2 = x^2 + (x/t - 1)^2 = (1 + 1/t^2)x^2 - 2x/t + 1, \]

d.h. $x = 0$ oder

\[ \frac2t = \frac{(t^2 + 1)x}{t^2}. \]

Die Lösung $x=0$ liefert uns den Südpol $(0, -1)$ des Einheitskreises. Die andere Lösung liefert den Punkt

\begin{align*} x = & \frac{2 t^2}{t(t^2+1)} = \frac{2t}{t^2+1},\\ y = & \frac{2}{t^2+1} - 1, \end{align*}

Um aus diesem Punkt auf dem Einheitskreis (mit rationalen Zahlen als Koordinaten) ein (P)PZT zu machen, müssen wir die Nenner loswerden. Im ersten Schritt multiplizieren wir beide Koordinaten mit $t^2 + 1$ und erhalten

\begin{align*} a’ & = 2t,\\ b’ & = 2 - (t^2+1) = 1 - t^2,\\ c’ & = t^2 + 1, \end{align*}

mit $(a’)^2 + (b’)^2 = (c’)^2$.

Die Zahlen $a$, $b$, $c$ werden aber auch noch Nenner haben, weil $t$ keine ganze Zahl ist. Wir schreiben $t = \frac mn$ als gekürzten Bruch (d.h. $m,n > 0$ sind teilerfremd), und multiplizieren $a’$, $b’$, $c’$ mit $n^2$. Wir erhalten

\begin{align*} a & = 2mn,\\ b & = n^2 - m^2,\\ c & = n^2 + m^2. \end{align*}

Weil $t$ nach Voraussetzung kleiner als $1$ ist, d.h. $\frac mn < 1$, gilt $m < n$, d.h. $b > 0$. Also ist $(a,b,c)$ ein PZT.

Sind $m$ und $n$ ungerade, so sind $a$, $b$ und $c$ oben alle durch $2$ teilbar, daher ist $(a,b,c)$ kein PPZT. Wenn wir die Ausdrücke oben alle durch $2$ teilen, erhalten wir das PPZT $(mn, (n^2-m^2)/2, (n^2+m^2)/2)$, in dem allerdings nun der erste Eintrag ungerade ist. In Satz 2.5 (2) betrachten wir aber nur PPZT, in denen der erste Eintrag gerade ist. Daher ist dieser Fall ($m$, $n$ beide ungerade) nicht relevant für uns.

Ergänzung 2.8

Wenn $m$ und $n$ ungerade sind, sind $mn$, $(n^2-m^2)/2$ und $(n^2+m^2)/2$ natürliche Zahlen, die ein PZT bilden. Es ist nicht sehr schwer zu zeigen, dass diese Zahlen tatsächlich teilerfremd sind, d.h. ein PPZT bilden, wie oben behauptet.

Dann ist natürlich auch $((n^2-m^2)/2, mn, (n^2+m^2)/2)$ ein PPZT, und muss sich folglich nach Satz 2.5 (2) in der dort angegebenen Form schreiben lassen. Es gibt also Zahlen $m’$, $n’$ (die Symbole $m$ und $n$ sind ja schon in Gebrauch), so dass gilt

\[ (n^2-m^2)/2 = 2m’n’,\quad mn = (n’)^2 - (m’)^2,\quad (n^2+m^2)/2 = (n’)^2 + (m’)^2. \]

In der Tat können wir solche $m’$, $n’$ leicht angeben. Wir setzen nämlich

\[ n’ = \frac{n+m}{2},\quad m’ = \frac{n-m}{2}. \]

Man rechnet dann leicht nach, dass die obigen Gleichungen gelten (und dass $m’$ und $n’$ teilerfremd sind, sowie dass eine der beiden Zahlen gerade sein muss).

Da $m$ und $n$ teilerfremd sind, können sie nicht beide gerade sein.

Ist genau eine der beiden Zahlen $m$ und $n$ gerade, so erhalten wir ein PPZT, in dem der erste Eintrag gerade ist (das haben wir uns oben, beim Beweis von Teil (1) des Satzes, schon überlegt). Da die anderen Fälle, wie wir soeben gesehen haben, keine PPZT mit dieser Eigenschaft liefern, und unsere Methode alle PPZT produziert, ist Teil (2) des Satzes damit bewiesen.

2.7 Welche natürlichen Zahlen sind Seitenlängen eines rechtwinkligen Dreiecks?

Wir können nun zu der Frage zurückkommen, welche natürlichen Zahlen in einem PZT, oder in einem PPZT, vorkommen können. Dabei können wir noch zwischen einem Auftreten als einer der ersten beiden Einträge (sozusagen als Länge einer Kathete), bzw. einem Auftreten als dritter Eintrag (d.h. als Länge der Hypotenuse) unterscheiden.

Dabei ist wieder der entscheidende Schritt zu verstehen, wie es sich im Fall von PPZT verhält. Für das Auftreten einer Zahl in einem PZT ist dann einfach die Frage, ob die Zahl irgendeinen Teiler $>1$ hat, der in einem PPZT auftritt. (Man beachte dabei, dass $1$ kein möglicher Eintrag in einem PPZT ist. Warum?)

Mögliche Kathetenlängen

Als Kathetenlängen eines PPZT können Zahlen der Form $2mn$ und der Form $n^2 - m^2$ auftreten, wobei $m$, $n$ teilerfremde natürliche Zahlen mit $n > m$ sind, so dass eine der Zahlen $m$, $n$ gerade ist.

Daraus ergibt sich, dass jede ungerade Zahl $b > 1$ als zweiter Eintrag in einem PPZT auftreten kann. Wir können nämlich, weil $b$ ungerade ist, $b$ in der Form $2n-1$ für ein geeignetes $n$ schreiben. Wir setzen außerdem $m = n-1$. Dann sind $m$, $n$ positiv, teilerfremd und eine der Zahlen $m$, $n$ ist gerade (warum?). Außerdem gilt

\[ n^2 - m^2 = n^2 - (n-1)^2 = n^2 - n^2 + 2n - 1 = b. \]

Sei nun $a$ eine durch $4$ teilbare Zahl. Wie schreiben $a = 2n$ (also ist $n$ gerade) und setzen $m=1$. Dann sind $m$, $n$ positiv, teilerfremd und eine der Zahlen $m$, $n$ ist gerade (warum?). Außerdem gilt $a = 2mn$.

Ist andererseits $a$ eine gerade Zahl, die aber nicht durch $4$ teilbar ist, so kann $a$ nicht einer der ersten beiden Einträge eines PPZT sein (warum?).

Für die möglichen Kathetenlängen in einem PZT erhalten wir damit: Jede natürliche Zahl, die größer ist als $2$, tritt als einer der ersten beiden Einträge eines PZT auf. (Denn entweder wird die Zahl von einer ungeraden Zahl geteilt, oder es handelt sich um eine Zweierpotenz, die – weil sie größer als $2$ ist – durch $4$ teilbar ist.)

Mögliche Hypotenusenlängen

Schwieriger ist die Frage nach möglichen Längen der Hypotenuse in einem PPZT. Mit dem bereits erreichten Ergebnis können wir die Frage so umformulieren: Welche ungeraden natürlichen Zahlen sind die Summe von zwei positiven Quadratzahlen?

Beispiel 2.9

Zum Beispiel ist $65 = 8^2 + 1^2$ die Summe von zwei positiven Quadratzahlen. Mit $m = 1$, $n=8$ liefert uns also unsere Formel oben ein PPZT mit drittem Eintrag $65$.

Die Zahl $11$ ist nicht die Summe von zwei positiven Quadratzahlen, wie man durch Ausprobieren feststellt. Es gibt aber auch größere Zahlen (sogar beliebig große), die nicht Summe von zwei Quadratzahlen sind, zum Beispiel $9\, 617\, 531$.

Die Antwort auf diese Frage ist seit langem bekannt (Zwei-Quadrate-Satz, bewiesen von A. Girard, 1625), erfordert aber noch ein bisschen mehr Arbeit … Das Ergebnis ist aber einfach zu formulieren und lautet:

Satz 2.10

Eine ungerade Zahl $c > 1$ ist genau dann die Summe von zwei positiven Quadratzahlen, wenn alle Primzahlen, die $c$ teilen, bei Division durch $4$ den Rest $1$ haben.

Beispielsweise sind $5$, $13$ und $17$ erlaubt; also treten $65$ und $1\, 445$ als dritter Eintrag in einem PPZT auf (denn $1\, 445 = 5 \cdot 17^2$; können Sie so ein PPZT finden?). Aber $11$ ist nicht erlaubt, also kann $121$ nicht der dritte Eintrag in einem PPZT sein.

Für die möglichen Hypotenusenlängen in einem PZT erhalten wir damit: Eine Zahl $c$ tritt genau dann als dritter Eintrag in einem PZT auf, wenn es eine Primzahl gibt, die $c$ teilt und die bei Division durch $4$ den Rest $1$ hat.

  1. Ein Tripel bezeichnet einfach eine Liste von drei Zahlen. Wir schreiben diese Zahlen dann oft zwischen Klammern $( \dots )$, um anzuzeigen, dass sie zusammengehören.
  2. Als rationale Zahlen bezeichnet man alle Zahlen, die sich als Bruch von zwei ganzen Zahlen darstellen lassen.
  3. Wir schreiben jetzt einen Index $0$ an die Koordinaten, weil wir $x$ und $y$ als die Variablen der Geradengleichung verwenden möchten.